Es wurden schwere Geschütze aufgefahren am 18.11.2024 zur Bürgerversammlung „Marstallquartier“ in der Vogtlandhalle Greiz. Ein Simpel, wer eine harmlose Informationsveranstaltung erwartet hatte – gesehen haben wir die Inszenierung des unbedingten Willens, etwas Großes zu schaffen. Das Podium war prominent besetzt mit Bürgermeister, Planern, Gutachtern, Konzeptschreibern… und in der ersten Reihe saßen die Expansionsleiter der Handelsketten nebst einem Berater des Investors – ein guter Onkel aus dem Westen, der den dummen Ossis mal wieder die Marktwirtschaft erklärte. Erstmals nach vielen Jahren wurde die Öffentlichkeit auch Herrn Wagners ansichtig – ja Investoren sind scheue Rehe. Diesmal musste er aber ins Licht.
Was gibt es zu berichten von dieser Demonstration des Willens und der Macht?
Zuerst viel historisches Vorgeplänkel, in welchem Herr Obenauf zeigte, wie seit 1988 jeder Entwurf zur Marstall-Bebauung immer besser und schöner als sein Vorgänger wurde, um 2024 endlich beim „Besten aller Entwürfe“ anzukommen. Danach stellte Herr Wagner seine neuste „Meister-Propper-Variante“ des Marstall-Centers vor. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Auf diese Macht der Bilder setzte die Präsentation. Allerdings wurde auch viel geredet. Genaues war jedoch nicht herauszubekommen, da es ja noch keinerlei neue Festsetzungen gibt und noch verschiedene Gutachten fehlen, z.B. eine Verträglichkeitsanalyse des Marstall-Centers mit dem zentralen Versorgungsbereich Altstadt. Aber Gutachten, das sagt ja schon das Wort, gehen meist gut aus, besonders wenn sie das Ziel haben, ein Projekt zu untermauern. Was wäre denn ein Gutachten, dass zu gegenteiligen Ergebnissen kommt – das wäre ja ein Schlechtachten und rein gar nichts wert. Also gehen wir ruhig davon aus, dass die fehlenden Gutachten und Analysen auch alle gut ausgehen. Das beruhigt dann den Teil der Bevölkerung, der an die Wissenschaftlichkeit von Gutachten glaubt. Ein anderer Teil des Volkes wird mit eben jener neuen, persilweißen und ein wenig grüngewaschenen Architektur beeindruckt, welche – nach Meinung eines Greizer Architekten – endlich ‚die Moderne‘ in die Stadt bringt. Leider konnten wir bei den bunten Bildern keinerlei Umgebungsbebauung sehen und die Straßen kamen uns sämtlich sehr breit vor. Auch auf Ampelanlagen will man wohl zukünftig ganz verzichten – oder störte das alles den schönen Schein? Was haben wir denn nun gesehen und gehört? – Summa summarum, eine neue Architekturvariante zu einem alten B-Plan-Entwurf. Neuer Wein in alten Schläuchen.
Zur Diskussion:
Man kommt mit „gesundem Menschenverstand“ nicht weit, wenn einem die geballte Wucht des Sachverstandes gegenübersitzt – das musste so mancher Fragesteller während der Bürgerversammlung erfahren. Die Dinge sind eben kompliziert und da nützt es leider nichts, diesen oder jenen Aspekt der Planung zu hinterfragen. Das ist alles fachlich geprüft und wird funktionieren. Das müssen wir dann schon glauben.
Im weiteren Verlauf wird es darum gehen, etwaige Einwände von Fachbehörden zu entkräften. Die Stadträte, welche immer noch zweifeln, besänftigt man mit der vollständigen Kostenübernahme durch den Investor. Und die Bürgerinnen und Bürger werden mit Konsum und hübscher Architektur ruhig gestellt – Brot und Spiele. Nur so manche Einzelhändlerinnen und -händler haben ihren Ohren nicht getraut, als sie die fachliche fundierte Auskunft bekamen, dass es sie bald nicht mehr geben wird – mit oder ohne Marstall-Center. Die Innenstädte sterben, da können wir nichts machen, so die lapidare und zynische Auskunft.
Also wird gebaut. Es könnte ja am Ende irgend ein positiver Effekt herauskommen. Welcher, dass weiß man noch nicht so richtig – aber Bürgermeister Schulze und die Experten samt Stadträten sind sich einig, dass man ihn noch finden wird, diesen Effekt. Ich glaube, er heißt „Frequenzbringer“ – das ist das Zauber- und Lieblingswort des Bürgermeisters in Verbindung mit dem Marstall-Center. Was müssen wir uns darunter vorstellen? Geht es vielleicht um mehr Menschen in der Stadt? Aber nein, wir werden doch immer weniger. Also Menschen von außerhalb? Aber die haben in ihren Städten ebenfalls Lebensmittel-Märkte. Die kommen vielleicht mal zum schnuppern, um das „Greizer Neuschwanstein“ zu bestaunen. Aber dann merken sie, dass die ganzen Produkte auch in ihren Läden stehen und die Greizer sind wieder unter sich. Dann geht es wohl um Auto-Frequenz? Möglichst viele Fahrzeuge in möglichst kurzer Zeit, das könnte der Schlüssel sein – das gibt ordentlich Druck auf das Straßennetz, fröhlichen Frustabbau beim Ein-und Ausfahren, Rückstau in alle Richtungen und eine schöne Geräuschkulisse. Allerdings werden solche negativen Gedanken durch das Verkehrsgutachten widerlegt! Kein Wort fiel darüber (weder in der Präsentation noch in der Diskussion), dass dies ja ein Lebensmittelhandel für die Innenstadt sein soll und daher auch die Fußläufigkeit bzw. die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Rolle spielen müsste – sogar die Hauptrolle. Also ich hätte doch gern einmal den Begriff „Frequenzbringer“ von fachlicher Seite erläutert bekommen.
Und zu guter Letzt das Wohnen im Marstall-Center. Das ist schon eine verlockende Vorstellung, morgens 5 Uhr pünktlich mit der Supermarkt-Belieferung aufzustehen, dann in Hauspantoffeln zum Bäcker zu schlurfen und beim Morgenkaffee dem Berufsverkehr am Rathenauplatz zuzuwinken. Auch abends oder nachts wird es nicht langweilig, denn es gibt ja noch das Parkhaus, quietschende Reifen und gellende Hupen. Da kann man sich den Fernseher und die GEZ-Gebühren wirklich sparen. Zum Glück wird sich die Mieten kaum jemand leisten können, jedenfalls nicht die alleinstehende Omi, die vom Dorf in die Stadt ziehen will.
Wenn das alles nicht so betrüblich wäre, könnte man eine Menge Satire dazu erfinden. Ich schlage vor, die nächste Karikaturen-Triennale unter das Motto „Marstall-Center-Greiz“ zu stellen.
Aber ein ernster Nachsatz sei noch gestattet: Alle Projektbeteiligten haben in dieser Veranstaltung mit gebündelter Macht demonstriert, wie bitterernst es ihnen mit dem Marstall-Center ist. Es wurde die fatalistische Ansicht propagiert, dieses Center sei die letzte Chance für Greiz, sonst gehen wir unter. Ich glaube, nicht wenige Zuhörer sind mit dieser Vorstellung nach Hause gegangen. Die Damen und Herren vom Podium und aus der ersten Reihe (übrigens männerdominiert, die zwei anwesenden Frauen blieben stumm) wurden auch nicht müde, ihre Verbundenheit mit Greiz zu betonen. Dabei ist für die Gutachtenschreiber, Analysten und besonders für die Filialisten Greiz doch nur eine austauschbare Nummer. Im Zusammenhang mit rein profitablen Überlegungen von „Herzensangelegenheit“ zu sprechen, muss ihnen doch selbst unglaubwürdig erscheinen.
Dennoch ist die Planung alternativlos, weil sie die beste und schönste und notwendigste ist, die wir je hatten.
Dabei wird leider übersehen, dass sie einen wichtigen, wenn nicht den wichtigsten Grundsatz der eigenen Vorgaben missachtet. Im Einzelhandels- und Zentrenkonzept steht; der Standort Marstall soll eine Magnet- und Ergänzungsfunktion zum Handel der Innenstadt/Altstadt ausüben. Wie bitteschön vollbringt er das, wenn er eine Insel bildet, eine Stadt in der Stadt, versehen mit allem, was die Bewohner auf dem Gebäude brauchen, um es nie wieder zu verlassen. Und wie bitteschön erfüllt er seine Aufgabe für diejenigen, die mit dem PKW das Center ansteuern und dann wieder mit vollem Kofferraum davon fahren. Etwa 2/3 der anliegenden Straßen um das Marstallquartier werden zum sogen. hochbelasteten Hauptnetz gehören, was auch so gewollt ist, wie Herr Obenauf erläuterte. Wie ergibt sich da der leichte Zugang und die Öffnung zur Innenstadt? Wie wird das Marstall-Center seiner Ergänzungsfunktion für die Altstadt gerecht? Auch das hätte ich sehr gern noch einmal erläutert bekommen. Und auf die Verträglichkeitsanalyse bin ich besonders gespannt. Sie muss wohl so etwas wie die Quadratur des Kreises werden. Aber wenn dieses Gutachten nicht gut wird, dann ist das ganze Marstall-Center nonsens.
Es wird schon gut, denke ich, denn schließlich sind die Planung und der Bau ja alternativlos. (Aus meiner ganz unmaßgeblichen Sicht wird das Marstall-Center allerdings eine Sterbebegleitung für Greiz. Seniorenheim über Konsumtempel oder – ein Raumschiff für die letzten Greizer – „Beam me up, Scotty!“)
P.S.: Um das nicht als letzten Satz stehenzulassen; es gibt natürlich Alternativen z.B. im Tourismus. Wen das interessiert, der sollte unbedingt das Tourismuskonzept von Rüber/Kobel lesen, die am Beispiel von Greiz und Arnstadt eine tragfähige Idee zur Umorientierung Thüringer Kleinstädte vorlegen. So lässt sich vielleicht nachhaltig „Frequenz“ in eine scheinbar abgehängte Stadt bringen. Hier der Link dazu: https://stadtrandnotiz.de/2021/03/10/das-ziel-heisst-zuzug/?fbclid=IwAR0Xqf8LGih4bBPHKCYQU6nzelkwGuUIkOQZk3qDOvskvpDnfJIREbakq_k